VON CORNELIA SENG

“Dein Gott bleibt ein Geheimnis für mich. Trotzdem mag ich ihn, obwohl ich nicht an ihn glaube, und ich brauche ihn auch nicht“, hat mein Freund Housam Darwish, der Philosoph aus Syrien, geschrieben. Wir diskutieren über die Menschenrechte. 

Gibt es einen guten Grund, warum alle sich an die Menschenrechte halten sollten? Die Vernunft vielleicht oder Gott?

Wir sind uns einig, dass uns die Autorität einer “Höheren Macht” nicht helfen wird. Selbst Menschen, die an eine “Höhere Macht” glauben, können ihren Mitmenschen entsetzlich viel Leid antun. 

Der Holocaust geschah durch Deutsche, die auch damals schon eine “christliche Nation” waren, das Land der Reformation. Auch heute wird sich niemand an die Menschenrechte halten, bloß weil er die Strafe Gottes fürchtet oder weil er sich für ein vernunftbegabtes, denkendes Wesen hält. 

Warum mahnen die Kirchen heute so deutlich an die Einhaltung der Menschenrechte? Auch für Christen ist das Grundgesetz nicht das „Gesetz Gottes“, – keine „Scharia“.

Christen sind auf geheimnisvolle Weise in den Glauben gerufen, sie leben von der Erfahrung, dass Gott, der Schöpfer allen Lebens, alle Menschen liebt, – ohne Ansehen der Person. Und sie haben sich entschieden, dem Ruf in den Glauben Folge zu leisten. Mit Taten der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit, des Friedens. 

Christen wollen, dass die Würde jedes Menschen respektiert wird. Sie treten ein für eine offene, rechtsstaatliche Demokratie und sehen darin die beste Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Eine Form von Zusammenleben, die dem Frieden dient. 

Das Grundgesetz und die Menschenrechte sind nicht verhandelbar, wer nicht zu ihnen steht, der will eine andere Republik. Wie hältst du‘s mit den Menschenrechten, – für Flüchtlinge, für Juden, für Ertrinkende im Mittelmeer? Willst du Meinungsfreiheit nur für dich oder auch für andere? 

Alle Flüchtlinge kommen aus (meist islamischen) Ländern mit massiven Menschenrechtsverletzungen. Sie haben am eigenen Leib erfahren, was es heißt, nicht dazuzugehören, ausgegrenzt oder missachtet zu werden. „Als ich in Deutschland in den Spiegel geschaut habe, habe ich zum ersten Mal einen Menschen gesehen“, sagt Z. aus Afghanistan. Er hat zum ersten Mal in seinem Leben einen Personalausweis.

Diesen Respekt vor der Menschenwürde müssen wir uns erhalten in Deutschland. 

Natürlich haben die Kirchen mehr zu sagen und zu predigen als die Menschenrechte. Ein österreichischer Pfarrkollege hat es so formuliert: „In Zeiten der Gefahr schlüpfen die Menschenrechte bei den Kirchen unter.“

Anders als Housam brauche ich Gott. Gott sagt zu mir: „Ich brauche Dich. Steh auf, tu was, sag was.“ „Suche den Frieden und jage ihm nach.“ Psalm 34,15 – Jahreslosung 2019