“Eine andere Sprache zu sprechen ist immer auch ein anderes Lebensgefühl” (S.123), schreibt Dunja Ramadan. Welches “Lebensgefühl” verbindet sich für Menschen aus dem arabischen Sprachraum mit der deutschen Sprache?

Die Autorin des Büchleins ist in beiden Lebenswelten zu Hause. Ihre Mutter ist Deutsche, ihr Vater Ägypter. Aus ihren Kontakten mit Geflüchteten, besonders mit Khalid dem Journalisten, Wesal der Anwältin, Rasha der Schriftstellerin und Lina der Dichterin, ergeben sich zahlreiche Beobachtungen über das deutsche wie das arabische Lebensgefühl.

Was ist ähnlich, was ist anders? Was macht es Arabern schwer, Deutsch zu lernen? Es sind ja nicht nur Buchstaben und Vokabeln, die gelernt werden müssen.

“Wenn zwei Menschen miteinander sprechen, dann ist zwischen ihnen ein unsichtbares Seil gespannt”, sagt Khalid (S.16). Araber lieben es, miteinander sprechen. “Würde ein Deutscher nach Syrien flüchten, würde er in wenigen Monaten den syrischen Dialekt sprechen”, glaubt Lina (S.49). Einfach weil die Menschen es lieben zu reden. Und: “Wie soll ich die deutsche Sprache benutzen, wenn ich keine Kontakte knüpfen kann? Wir Syrer sind ein geselliges Volk, wir sind Einsamkeit und Ruhe nicht gewohnt. Das macht das Ankommen so schwierig” (S.49).

Die arabische Sprache ist reich an Bildern und voller Metaphern. Vieles sagt man “durch die Blume”. Für eine Übersetzung ins Arabische braucht man mindesten dreimal soviel Zeit wie vom Deutschen ins Englische. Die deutsche Sprache erleben Araber eher als funktional und zielgerichtet, eine “Debattenkultur” in der jeder seine Argumente möglichst knapp und präzise darlegt.

Dunja Ramadan meint noch andere Unterschiede feststellen zu können. So fällt es Arabern schwer, einfach und klar “nein” zu sagen oder nach einer Erklärung zu fragen, wenn sie etwas nicht gleich verstanden haben.

Den Grund vermutet sie in den autokratischen Gesellschaftssystemen in denen die arabischen Völker schon seit langer Zeit leben. Es kann gefährlich sein, die eigene Meinung offen zu sagen, schon gar nicht einer höhergestellten Person gegenüber. Offen “Nein” zu sagen oder gar nach einer Begründung zu fragen, war (und ist) in Syrien oft nicht möglich. Lina z. B. hat grauenhafte Erinnerungen an ihre Schulzeit. “Kinder sollten nicht lernen, wie sie ihre eigene Meinung äußern, sondern wie sie gehorchen und ‘Ja, mein Herr’ sagen’, sagt sie. (S. 53) Dazu kommt die Angst, einen Fehler zu machen. In Deutschland freut man sich, wenn Schüler “warum?” fragen. Das zeigt ihr Interesse und ihr Bemühen, etwas wirklich verstehen zu wollen.

Dunja Ramadan sammelt viele solcher Beispiele. Dabei hütet Sie sich vor Verallgemeinerungen und man spürt doch: an den persönlichen Eindrücken ist etwas Wahres dran, auch wenn sie nicht für jedermann stimmen mögen. Es sind “interkulturelle Beobachtungen”, immer respektvoll der einen wie der anderen Sprache gegenüber.

Können wir auch voneinander lernen? Wie kann das arabische Lebensgefühl das deutsche bereichern?

Flüchtlinge müssen sich auf die deutsche Sprache einlassen, sie haben keine andere Wahl. Sie werden von da an in zwei Welten zu Hause sein. “Man muss im Kopf einen Schalter umlegen”, sagt Khalid (S. 16).

Kann die Begegnung mit der arabischen Sprachkultur auch der deutschen Sprache neue Impulse geben?

Ich wünsche es mir. Wir könnten wieder lernen, mehr miteinander zu reden. Wir könnten lernen, neben dem zielgerichteten, lösungsorientierten Gespräch auch eine zweckfreie Unterhaltungen pflegen. Eine Unterhaltung, bei der der Gesprächsfaden einfach hin- und herläuft und Menschen miteinander verbindet, egal welcher Meinung sie sind. Das würde uns in Deutschland gut tun. Natürlich verbunden mit tiefem Respekt vor der freien Meinungsäußerung eines jeden.

Ich wünsche dem Büchlein von Dunja Ramadan viele Leser*innen. Es macht Lust auf den interkulturellen Austausch.

Von Cornelia Seng