VON DR.HOUSAM DARWISH
Housamedden Darwish, geb. 1971 in Aleppo, Syrien, ist Philosoph. Von 2014 bis Juli 2016 hat er in Wermelskirchen gelebt, hat im Sozialamt der Stadt Wermelskirchen als Betreuer gearbeitet und hat sich bei „Willkommen in Wermelskirchen“ ehrenamtlich engagiert. Jetzt wohnt er in Köln. Darwish ist verheiratet und hat ein Kind.
„Deutschland“ verbindet sich in der Meinung der Menschen mit vielem, auch mit Negativem. „Deutschland“ ist auch der Nationalsozialismus und der 2.Weltkrieg. „Deutschland“ steht aber auch für „Made in Germany“, Wohlstand und Aufstieg. Und die Namen vieler berühmter Philosophen, Schriftsteller und Komponisten sind mit „Deutschland“ verbunden. „Deutsch“ ist aber auch eine recht pragmatische Einstellung zum Leben und eine etwas harsche Offenheit.
In den letzten Jahren haben die Deutschen viele Menschen überrascht, nicht zuletzt die Deutschen selbst, wenn von der „Willkommenskultur“ die Rede ist, die vor allem im Zusammenhang mit der Krise in Syrien gesehen wird. Ja, der Ausdruck „Willkommenskultur“ ist auch in andere Sprachen übernommen worden, zum Beispiel ins Englische. Er steht für eine Politik der offenen Grenzen genauso wie für die überwältigende Sympathie, die die deutsche Bevölkerung den Flüchtlingen entgegengebracht hat. Sie hat sich in vielerlei Hilfsmaßnahmen und Unterstützung gezeigt.
Die Deutschen haben damals nicht nur geredet, sie haben auch entschlossen gehandelt. Das hat sich in vielen verschiedenen Hilfsmaßnahmen, Organisationen und Initiativen ganz praktisch gezeigt. Webseiten sind entstanden und Zentren für Flüchtlinge. Ziel all dieser Bemühungen war es, den Flüchtlingen in ihrer schwierigen Lage beizustehen und sie zu befähigen, wieder ein eigenes, freies Leben zu führen. Es ist richtig schwer, einen Flüchtling zu finden, der in dieser Zeit nach Deutschland gekommen ist, der nicht in irgendeiner Art und Weise von dieser Unterstützung profitiert hat, sei es durch Organisationen, Initiativen oder Einzelpersonen. So gut wie jeden hat die Willkommenskultur erreicht.
Was „Willkommenskultur “ meint, möchte ich anhand der Initiative „Willkommen in Wermelskirchen“ verdeutlichen, deren Mitbegründerin Cornelia Seng ist.
Dabei spreche ich als Flüchtling aus meiner eigenen Erfahrung, aber auch als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Initiative und auch als vom Sozialamt der Stadt Wermelskirchen angestellter Betreuer. Es sind meine sehr eigenen Eindrücke als Mensch mit Geist, Körper und Seele.
Vor der Gründung der Initiative hatten wir Flüchtlinge mit vielerlei Schwierigkeiten zu kämpfen, obwohl es sehr freundliche Menschen gab wie Brigitte Krips, Harald Bergerhoff und Reinhild Prinz, die wirklich auf uns zugingen und versuchten Kontakt aufzunehmen und zu helfen. Die Schwierigkeiten, mit denen wir damals zu kämpfen hatten, reichten von der Frage: „Wie finde ich einen Hausarzt und einen Deutschkurs?“ bis hin zum Finden einer Wohnung und eines Jobs. Oder: „Wo finde ich einen Rechtsanwalt, der mir hilft, meine drohende Abschiebung zu verhindern und der mit juristischen Mitteln für mein Aufenthaltsrecht kämpft?“
Der Beginn der Initiative war dann für uns ein ganz wichtiger Meilenstein, theoretisch wie praktisch. Wir Flüchtlinge fühlten uns großartig unterstützt, wir bekamen Hilfe, die wichtigsten Schwierigkeiten zu bewältigen. Seitdem fühlten wir uns wieder wie gleichwertige Menschen, nicht nur als Flüchtlinge am Rande der Gesellschaft, gefangen in einer Bürokratie.
Ich will die Unterstützung und Hilfe hier nicht bis ins kleinste Detail schildern, aber ich will ein paar Beispiele nennen, die die ganze Bandbreite der Arbeit erkennbar werden lassen. So unterstützte die Initiative „Willkommen in Wermelskirchen“ Flüchtlinge von Anfang an dabei, Deutsch zu lernen, indem sie kostenfreie eigene Lernmöglichkeiten schuf und auch einen großen Teil des Beitrags zu teuren Kursen bei der Volkshochschule übernommen hat. Auch Rechtsanwaltskosten wurden gesponsert. Es gab Hilfen, eine eigene Wohnung zu finden und mit gespendeten Möbeln auszustatten. Es wurden Veranstaltungen organisiert und Zeitungsartikel verfasst, die die Kommunalgemeinde darin ermutigen sollten, vertrauensvoll auf Flüchtlinge zuzugehen und die Bedenken des rechten Flügels der Gesellschaft gegenüber Flüchtlingen und Ausländern zu zerstreuen.
Zudem hat die Initiative ein „Café International“ als wöchentlicher Treffpunkt für Flüchtlinge und Einheimische eingerichtet. Hier können Flüchtlinge mehr über die Arbeit der Initiative erfahren und Ansprechpartner finden.
Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, als wenn mit Gründung der Initiative gleich alle Probleme von Flüchtlingen in Wermelskirchen gelöst worden wären, trotz des großen Engagements der Zivilbevölkerung. Auch die allergrößten Anstrengungen können nur ein Anfang sein.
Aber mit Sicherheit kann ich sagen, dass die Arbeit alle unsere Erwartungen weit übertroffen hat und alle total überrascht hat. Für Menschen meiner Kultur ist es nicht leicht zu glauben, dass es Menschen gibt wie diese Deutschen, die in der Willkommensinitiative engagiert sind. Manche Flüchtlinge haben sich gefragt, ob sie einen Hintergedanken haben bei all der Zuwendung. Vielleicht eine geheime Absicht, sie zum Christentum zu bekehren? Der Zweifel ist unserer Kultur geschuldet: Ehrenamtliches Engagement gibt es bei uns so gut wie gar nicht. Daher ist es schwer zu glauben, dass so viele Menschen ihre Zeit, ihre Kraft und auch ihr Geld spenden, um anderen Menschen, „Outsidern“, zu helfen, rein aus Mitmenschlichkeit.
Diese Zweifel sind jedoch nach und nach verschwunden. Uns ist zunehmend deutlich geworden, dass es bei der Willkommenskultur um die Menschenwürde geht, die manche auch aus ihrem christlichen Glauben heraus vertreten. Das heißt nicht, dass andere Mitarbeitende nicht vielleicht auch andere, persönliche Gründe haben.
Dennoch ist eines der wichtigsten erkennbaren Motive des Engagements in der Willkommenskultur der Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die Willkommenkultur ist der Menschenwürde verpflichtet, nicht einem allgemeinen Gefühl von Großzügigkeit. Sie ist Ausdruck des Wertesystems der deutschen Gesellschaft, auf dem der deutsche Staat gegründet ist.
So war das Anliegen der Initiative auch immer verbunden mit der Zurückweisung von wachsenden rechts-nationalen, fremdenfeindlichen und rassistischen Tendenzen in der Gesellschaft, wie sie sich z. B. in „Pegida“ zeigen. Die Initiative steht für ein gutes Engagement der Zivilgesellschaft in Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden.
Zugegeben: Ein Flüchtling kann derart hilflos erscheinen, dass er bei manchen Menschen Sympathie auslöst. Aber ein Flüchtling ist auch ein Mensch, der ein Freund / eine Freundin werden kann. Menschliche Gemeinsamkeiten, gemeinsam erfahrene Menschlichkeit kann auch eine gegenseitige Bereicherung sein. In dieser Initiative sind wir uns nicht nur wie Flüchtlinge und Einheimische begegnet, sondern als Mitmenschen. Eine Begegnung, die alle bereichert. Aus der Verantwortung für die Menschenwürde kommt es zu zwischenmenschlichen Begegnungen, nicht nur als Deutsche und Syrer, Ehrenamtliche und Flüchtlinge. Es kommt zum Miteinander von Menschen, die sich gegenseitig respektieren, die manchmal sogar mehr miteinander übereinstimmen als Deutsche mit Deutschen oder Menschen derselben Religion.
In unserer Kultur ist es üblich, „danke“ zu sagen für dieses Willkommen. Und ein spezieller Dank gilt all jenen, die diese Kultur verkörpern und sie leben mit ihrem ganzen Verhalten. Danke für Eure Menschlichkeit, für Eure Ethik, für Eure Einmaligkeit. Bei aller Anerkennung überwiegt gegenüber diesen Menschen aber das Gefühl der Liebe, Bewunderung, des Respektes und der Wertschätzung.
Ich weiß, dass es für Deutsche schwierig ist, stolz zu sein auf ihre Nation. Das ist verständlich im Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus. Aber auf diese Willkommenskultur sollten alle, die daran mitgewirkt haben, stolz sein. Und ganz Deutschland kann mit Recht stolz sein auf diese Menschen.
In der letzten Zeit hat man manchmal den Eindruck, dass es vermehrt Gegenstimmen zu einer Willkommenskultur gibt, und dass auch die deutsche Regierung nicht mehr klar in ihren Absichten ist.
Bei allem bleibt die Willkommenskultur ein Markstein, der zeigt, wie die Deutschen in der Lage sind, mit ihrer Geschichte umzugehen. Vielleicht können sie eines Tages mit Stolz und Zufriedenheit auf diese Kultur zurückblicken.
Die Willkommenskultur hatte einen sehr positiven, oftmals schicksalhaften Einfluss auf das Leben von Hunderten, ja Tausenden von Menschen, Flüchtlingen. Ich hoffe und wünsche, dass die Auswirkung noch lange anhalten wird und sich ihre Absichten noch klarer herauskristallisieren.