Die „Igitt-Frage“ und die Willkommenskultur

von Cornelia Seng

Vorige Woche hatten wir Besuch aus Wermelskirchen. Das Mitbringsel war dekorativ eingepackt in Zeitungspapier aus der alten Heimat, in Seiten aus der „Bergischen Morgenpost“ vom 12. August 2019. Eine ganze Seite Interview mit Henning Rehse habe ich mit Erstaunen wahrgenommen. Kann man mit einem unterirdischen Satz auf einer unbedeutenden Facebook-Seite jetzt zu einer ganzen Seite Selbstdarstellung in einer deutschen Tageszeitung kommen?

Bei einer Bemerkung werde ich stutzig. Bei seiner Anfrage vom Frühjahr dieses Jahres, welche Kosten für Flüchtlinge in Wermelskirchen entstehen, habe es geheißen, „die Anfrage ist einfach igitt“ laut Rehse. Was will er damit zum Ausdruck bringen?

Ich habe damals zu dieser Anfrage Stellung genommen und Herrn Rehse für die Offenlegung gedankt. Jawohl, die Aufnahme von Flüchtlingen kostet Geld, Steuergeld, dem Bund, dem Land bis in die Kommunen. Das ist von uns allen erwirtschaftetes Geld. Dass auch die Kommunen belastet werden durch Zahlungen an geduldete, ausreisepflichtige Asylbewerber ist eine schlechte, politische Entscheidung. Sie gehört korrigiert.

Man könnte z. B. auch entscheiden, den Kommunen einen Bonus zu zahlen für jeden geduldeten Asylbewerber, der integriert wurde und der seinen Lebensunterhalt selber verdient oder auf dem Weg dahin ist. Gesine Schwan (SPD) hat das schon vor Jahren in einem Konzept vorgeschlagen: „Die Aufnahme von Flüchtlingen muss sich für die Kommunen lohnen!“ https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/gesine-schwan-fluechtlinge-aufnehmen-muss-lohnen

Einem solchen Integrationskonzept nach bekäme Wermelskirchen noch Geld für jeden geduldeten Asylbewerber, der in Ausbildung oder Arbeit gefunden hat. Der Einsatz von „Willkommen in Wermelskirchen“ würde sich nicht nur ideell lohnen. Dafür müssten die Ausländerbehörden arbeiten nach dem Motto: „Wen können wir integrieren“ und nicht: „Wen können wir um jeden Preis abschieben“.

Also was soll an der Anfrage nach den Kosten „igitt“ gewesen sein?

Kann es sein, dass man das nicht gerne laut diskutiert, weil man das Vorurteil „Flüchtlinge lebten nur auf unsere Kosten“ nicht aufgeben will? Damit lässt sich gut Stimmung machen gegen Flüchtlinge.

Die Politik des derzeitigen Bundesinnenministers Seehofer, dem sich Herr Rehse verbunden fühlt, beschränkt sich in der Flüchtlingsfrage auf Abgrenzung, Ausgrenzung, Aussetzen (der Seenotrettung) und Abschieben. Mit dem Gesetz, das heute, am 21. August 2019, in Kraft tritt kommt noch Inhaftierung dazu. Bloß keinen Flüchtling zu viel! Jeden, den wir loswerden können, wohin auch immer und in welche Gefahr auch immer, müssen wir abschieben. Koste es was es wolle.

Das ist keine Integrationspolitik. Und sie fügt Deutschland großen Schaden zu.

Wie die jüngsten Beispiele in Wermelskirchen zeigen, sind viele geduldete Asylbewerber durchaus fähig und hochmotiviert, eine Arbeit / Ausbildung zu machen. Vielen anderen wird die Arbeitserlaubnis vom Bundesamt einfach verwehrt. Woher kommt der Wahn, Menschen, die arbeiten wollen und können, das zu verwehren? Bloß weil sie in einem anderen Land geboren worden sind?

Wir brauchen eine echte Integrationspolitik, die jedem anständigen und wohlmeinenden Menschen gemäß unserer freiheitlichen Grundordnung eine Chance gibt. Zumal wir in Deutschland dringend Arbeitskräfte brauchen, Altenpfleger, Busfahrer, Handwerker etc. Nicht nur im Ausland „ausgebildete Fachkräfte“.

Ja, ich bin „christlich unterwegs“. Die Wertschätzung jedes Mitmenschen (und der Natur!) sind das zentrale Gebot im christlichen Glauben. Und den christlichen Glauben möchte ich auch in Zukunft in Deutschland ohne Einschränkungen leben können. Ich möchte auch in Zukunft jedem Menschen Wertschätzung und Achtung entgegenbringen können ohne dafür diffamiert und beleidigt zu werden.

„Wohin wollen wir?“ fragt Henning Rehse. Das ist richtig, das müssen wir diskutieren. „Woher kommen wir und wo stehen wir heute?“ ist dabei mitzubedenken. Siebzig Jahre in Frieden, Freiheit und Demokratie sind nicht selbstverständlich. Wie sagte ein Flüchtling neulich? – „Als ich in Deutschland in den Spiegel geschaut habe, habe ich zum ersten Mal einen Menschen gesehen“.

Dabei möchte ich bleiben, auch in Zukunft.

cornelia seng