Predigt am Sonntag, dem 30.9. 2018 im Zentralgottesdienst im Hünger            

von Cornelia Seng

Lebensdaten von Martin Luther King Jr. (MLK):

1929 geb. in Atlanta, wurde MLK wurde er nach dem Besuch der Hochschule 1948 als Pfarrer in der Baptistengemeinde ordiniert. 1953 Heirat mit Coretta Scott, vier Kinder.
Seit dem „Busboykott von Montgomery“ 1955 wird er zum Anführer des gewaltlosen Widerstands der schwarzen Bevölkerung in Amerika gegen die Rassentrennung. Mehrmals wurde er deshalb verhaftet, Bombenanschläge wurden auf sein Haus verübt. 1964 hält er in Washington die berühmte Rede „I have a Dream“. Ebenfalls in diesem Jahr erhält er den Friedensnobelpreis. 1967 hält er mehrere Reden gegen den Vietnamkrieg. 1968 wird er von einem Heckenschützen ermordet. Seit 1986 wird der Martin-Luther-King-Day am dritten Montag im Januar in den USA als nationaler Feiertag gehalten.

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Liebe Schwestern und Brüder,

an den 4. April 1968 erinnere ich mich noch genau. Ich war noch nicht konfirmiert. Wir hatten damals eine amerikanische Gaststudentin zu Besuch, die „Katrin aus Texas“, sagten meine Eltern. Am späten Nachmittag dieses Tages hatte sie gerade Nachrichten gehört. Völlig erschüttert kam sie aus ihrem Zimmer und sagte: „Das ist sehr schlimm für Amerika“. Martin Luther King war einem Attentat zum Opfer gefallen. Sie hatte Angst vor den blutigen Rassenunruhen, die jetzt in ihrem Land ausbrechen könnten.

Als ich etwas älter war, hatte ich das bekannte Poster mit der berühmten Rede von Martin Luther King „I have a dream“ im Zimmer hängen: „Ich habe den Traum, dass eines Tages meine vier kleinen Kinder nicht mehr nach ihrer Hauptfarbe beurteilt werden, sondern nur nach ihrem Charakter. Ich habe den Traum, dass eines Tages in diesem Land kleine schwarze Jungen und schwarze Mädchen Hand in Hand gehen mit kleinen weißen Jungen und Mädchen.“

Damals herrschte in den Vereinigten Staaten „Segregation“. Die Schwarzen waren zwar keine Sklaven mehr, aber sie wurden völlig getrennt von der weißen Bevölkerung. In öffentlichen Bussen durften sie nur im hinteren Teil fahren, Treppenhäuser und Aufzüge in öffentlichen Gebäuden waren getrennt, Toilettenanlagen, Parkbänke, etc. jeweils getrennt für Schwarze und Weiße. Und natürlich auch Schulen und Universitäten. Die weiße, reiche Mehrheit der Bevölkerung hat sich abgeschottet, schwarze Menschen ausgegrenzt: „Du gehörst nicht zu uns, Du bist schwarz.“ Leider haben auch die Christengemeinden das als gottgewollt unterstützt. Sie wollten keine „Integration“, kein Miteinander von Menschen verschiedener Hautfarbe.

Martin Luther King hat damals gesagt: „In der christlichen Ethik geht es letztlich darum, dass jeder Mensch geachtet werden muss, weil Gott ihn liebt“. Das haben wir heute, 50 Jahre nach dem Tod von Martin Luther King verstanden. Dass Gottes Liebe allen gilt, dass Gott jeden Menschen liebt, das ist uns Christen in Europa selbstverständlich.
Von den Juden haben wir den Glauben an Gott den Schöpfer, der den Menschen als sein „Ebenbild“ geschaffen hat, übernommen. Und aus der Botschaft von Jesus wissen wir, dass Gottes Liebe grundsätzlich jedem Menschen gilt.

Aus dieser Überzeugung führt ein gerader Weg zu dem Artikel 1 des Grundgesetzes unseres demokratischen Staates: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Denn da steht nicht: „Die Würde des deutschen Menschen“ ist unantastbar. Die Menschenwürde ist niemals völkisch, sondern immer universal, der Liebe Gottes entsprechend.

Wo immer in Gedanken, Slogan oder auch staatlichen Maßnahmen fremden Menschen diese Menschenwürde abgesprochen wird, müssen wir als Christen widerstehen.

Das ist die Grundlage unseres Staates. Das ist Recht, Menschenrecht, in unserem Land.

Wie leben wir miteinander in Menschenwürde?

Der Predigttext für diesen Sonntag hilft weiter:

Jesus antwortete dem Schriftgelehrten: „Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« (5.Mose 6,4-5). Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3.Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese. (Markus 12,30f)
Martin Luther King hat dieses Gebot so ausgelegt: „Liebe dich selbst, wenn du darunter ein gesundes und moralisches Selbstinteresse verstehst. Das ist dir aufgetragen. Das ist die Länge des Lebens. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Das ist dir aufgetragen. Das ist die Breite des Lebens. Aber vergiss niemals das oberste und größte Gebot: ‚Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.‘ Das ist die Höhe des Lebens.“

Das ist uns aufgetragen. Basta. Zur Erfüllung meines Menschseins gehört es, Gott zu lieben und den Nächsten wie mich selbst.

Die spitzfindigen Schriftgelehrten kamen schon damals auf die Idee zu fragen: „Ja, aber wer von den vielen ist denn überhaupt mein Nächster?“
Mit dem Gleichnis vom „Barmherzigen Samariter“ hat Jesus diese Frage grundsätzlich geklärt. Die Frage ist falsch gestellt: „Nicht – wer ist denn überhaupt mein Nächster? sondern: „Wem kann ich der Nächste sein?“ sollst du fragen.
Niemand ist von der Nächstenliebe auszuschließen. Es gibt kein Kriterium, nach dem man sich als nicht zuständig erklären kann. Ich bin der Nächste!

Widerstehen wir Gedanken, Slogan und Massnahmen, die uns weis machen wollen, man könne Menschen ausschließen von der Nächstenliebe, weil sie selber Schuld seien an ihrem Elend, weil sie unlautere Gründe hätten oder weil sie einer Religion angehören, die nicht zu unserem Land passe.

Nun ist Nächstenliebe aber noch mehr als Mitleid. Was im Sommer 2015 die Willkommenskultur in Deutschland ausgelöst hat, war wahrscheinlich eine Welle von Mitleid und Mitgefühl. Mitleid mit dem Elend und Leid von Menschen, die wochen- und monatelang unterwegs waren auf der Suche nach einem sicheren Zuhause. Diese Gefühle waren klasse und gut. Aber Gefühle können umschlagen und sie taugen nicht, um sich auf Dauer darauf zu verlassen.

Jesus ruft seine Jünger zur Feindesliebe auf: „Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Wenn ihr nur die liebt, die Euch auch lieben, was tut ihr Besonderes? Das tun die Heiden auch. Was habt ihr für einen Dank davon?“ (Matthäus 5,44f)

Feindesliebe also, wie soll das gehen? Jemanden, der mir negative, vielleicht sogar aggressive Gefühle entgegenbringt, – lieben?
Ich muss gestehen, ich bin bisher sehr nachlässig umgegangen mit diesem Gebot Jesu.
Im Frühjahr dieses Jahres war ich in Atlanta, USA, wo Martin Luther King gelebt hat.

Da erst bin ich auf die „Six Principles of Nonviolence“ gestoßen, die King formuliert hat. Was bedeutet es, das wirklich ernst zu nehmen, was Jesus gesagt hat? Nächstenliebe verstanden als Feindesliebe? Auf jede Art von Gewalt, verbal wie körperlich, zu verzichten? Nie jemanden irgendwie „klein“ kriegen zu wollen? Die Bürgerrechtsbewegung damals in Amerika, der gewaltlose Widerstand der Schwarzen gegen die Segregation, die Ausgrenzung von der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft, hat nach diesen Regeln funktioniert.
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MLK’s sechs Regeln für einen Lebensstil der Gewaltlosigkeit:

1. Dieser Lebensstil ist nichts für Duckmäuser oder Weicheier. Nichts für naive „Gutmenschen“, weich und nicht durchsetzungsfähig. Es ist ein Lebensstil für Mutige. Denn es bedeutet aktiv, mit aller Kraft und Stärke, der Spirale des Bösen zu widerstehen.

2. Es ist ein Lebensstil, der immer versucht, andere Menschen mit ins Boot zu holen. Der versuchen wird, ein Miteinander in einer menschliche Gemeinschaft zu pflegen.

3. Wir werden nie gegen Menschen, aber immer gegen Ungerechtigkeit kämpfen.

4. Es kann sein, dass wir in der Nachfolge Jesu selber unter der Ungerechtigkeit leiden werden. Schließlich sagt Jesus in der Bergpredigt: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihrer ist das Himmelreich“.

5. Nachfolger Jesu werden immer für Liebe eintreten und jede Form von Hass ablehnen. Sie werden gewaltfrei dem Hass widerstehen. Mit Worten wie mit Taten.

6. Bei all dem wissen wir: Gott ist immer auf unserer Seite. Was soll uns trennen von der Liebe Gottes? image

Es heißt, dass unserer Gesellschaft heute eine Spaltung droht. Eine Aufteilung in „die“ und „wir“.
Wir Christen sind in dieser Situation ganz neu zum Bekenntnis herausgefordert. In der Nachfolge Jesu ist uns aufgetragen, für Versöhnung und Miteinander einzutreten. Wo andere zum Kampf blasen, werden wir in Freundlichkeit für Menschenwürde und Respekt eintreten. Und in der Nachfolge Jesu werden wir dem Bösen gewaltlos widerstehen, in Worten und in Taten.

Am Freitag ging es im Religionsunterricht in der 9. Klasse um Gottesbilder. Wie findet man Gott? Wie begegnet man Ihm?
Das hat Leo Tolstoi am Ende seines Lebens sehr beschäftigt.
Wir haben die Geschichte von „Martin, dem Schuster“ miteinander angehört.
„Wie lebt man für Gott?“ So fragt sich Martin, der Schuster.
Dann las er in der Bibel diese Worte Jesu: „Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan!“
„Und Martin begann, sein Leben diesen Worten anzupassen“, erzählt Tolstoi. Und Martin beginnt, die Menschen um ihn herum zu sehen, statt sich nur um seinen Tee zu kümmern. Und am Ende des Tages stellt er überrascht fest, „dass an diesem Tage sein Herr zu ihm gekommen war“.

Wir werden Jesus, wir werden Gott begegnen, wenn wir tun, was uns aufgetragen ist.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Und deinen Nächsten lieben wie dich selbst«. AMEN

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