Kaum Falschangaben im Asylverfahren
Etwa die Hälfte der Geflüchteten, die Schutz in Deutschland suchen, hat keine Dokumente. Die Behörden prüfen ihre Angaben auf anderen Wegen. Nur selten stellen sich die Angaben als falsch heraus. Das berichtet der Mediendienst Integration in einem Beitrag von Fabio Ghelli und Caroline Schäfer.
Falschangaben im Asylverfahren standen in den vergangenen Jahren wiederholt im Fokus politischer Debatten. Prominente Fälle sind etwa der des rechtsextremen Bundeswehrsoldaten Franco A., der sich als syrischer Flüchtling ausgab, oder der des Breitscheidplatz-Attentäters Anis Amri. In den vergangenen Jahren wurde die Identitätsprüfung im Asylverfahren stark ausgebaut.
Die Angaben von Asylsuchenden überprüfen verschiedene Instanzen wie die Bundespolizei, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Ausländerbehörde. Das geschieht mehrfach – auch nach Abschluss des Asylverfahrens. Wenn sich bei der Prüfung herausstellt, dass Asylbewerber*innen falsche Angaben gemacht haben, die für das Verfahren relevant waren, kann das schwerwiegende Folgen haben: Ihr Antrag kann als “offensichtlich unbegründet” abgelehnt werden und sie können direkt abgeschoben werden. Stellen die Behörden Falschangaben nach Abschluss des Asylverfahrens fest, zum Beispiel bei einer Widerrufsprüfung, kann der Flüchtlingsstatus zurückgenommen werden.
Wie wird die Identität von Geflüchteten geprüft?
Nach der Einreise werden Geflüchtete registriert. Sie müssen ihre Dokumente vorlegen und ihnen werden Fingerabdrücke genommen. Die werden unter anderem mit der europäischen Datenbank EURODAC abgeglichen, um festzustellen, ob die Person bereits in einem anderen EU-Land registriert ist und ob sie dort dieselben Angaben gemacht hat.
Falls Dokumente vorliegen, prüft das BAMF damit die Identität von Asylantragsteller*innen. Mehr als 190.000 Dokumente – wie etwa Pässe, Personalausweise aber auch Geburtsurkunden und Führerscheine – haben Mitarbeitende des Bundesamts 2020 geprüft. 2,4 Prozent erwiesen sich als falsch – etwa 5,6 Prozent konnten nicht abschließend bewertet werden.
Nur die Hälfte der Geflüchteten hat Identitätsdokumente
Die Identität von Geflüchteten zu prüfen, ist oftmals sehr schwierig. Rund die Hälfte der Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen sind, hatte keinen Pass oder Personalausweis. Bei Antragsstellerinnen aus Afghanistan waren es 2020 knapp 80 Prozent. Bei Asylbewerberinnen aus Somalia, Nigeria, Algerien und Guinea lag der Anteil bei über 90 Prozent.
Das hat mehrere Gründe: In manchen Ländern haben viele Menschen keine Ausweise. Das gilt besonders für Staaten, in denen Geburten nicht systematisch registriert werden oder in denen Analphabetismus verbreitet ist und Teile der Bevölkerung nahezu keinen Kontakt zu den Behörden haben. Reisedokumente gehen außerdem oft auf der Flucht verloren, werden gestohlen oder in Transitländern abgenommen, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in einer Studie aus dem Jahr 2017 dokumentiert hat. Manche Geflüchtete würden zudem Dokumente nicht vorlegen und Falschangaben über ihr Herkunftsland machen, etwa in der Hoffnung, bessere Chancen beim Asylverfahren zu haben.
Prüfung mit Dolmetschern, Sprachsoftware und Handydatenauswertung
Falls keine Dokumente vorliegen, hat das BAMF im Asylverfahren mehrere Möglichkeiten, um die Identität von Geflüchteten zu überprüfen: Dolmetscherinnen beim BAMF sind dafür trainiert, Akzente oder Ausdrucksweisen aus bestimmten Regionen zu erkennen. Darüber hinaus werden in der Anhörung die Kenntnisse der Asylbewerberinnen über ihr Herkunftsland geprüft. Sprache und Dialekt der Antragsteller*innen können auch mithilfe einer “Spracherkennungssoftware” ermittelt werden. Bei rund 4.000 automatisierten Sprachtests konnte die Software im Jahr 2019 in weniger als fünf Prozent der Fälle Unstimmigkeiten entdecken.
Seit 2017 hat das BAMF außerdem die Möglichkeit, Handys und andere mobile Datenträger auszulesen, um die Aussagen von Asylbewerber*innen zu prüfen. Das bedeutet: das BAMF kann Aktivitäten in den sozialen Medien analysieren, private Nachrichten nach Angaben über Identität und Herkunft durchsuchen oder persönliche Informationen etwa mit Bank- oder Reise-Apps gegenprüfen.
Diese Praxis kritisieren mehreren Organisationen wegen datenschutzrechtlicher Bedenken: Antragsteller*innen müssen ihre Datenträger aushändigen und können weder einen Anspruch auf Privatsphäre geltend machen noch die Ergebnisse der Auswertung einsehen, wie eine Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) festgestellt hat.
Außerdem gibt die Handydatenauswertung nur in wenigen Fällen Aufschluss über die Identität der Geflüchteten: 2020 haben Mitarbeitende des BAMF rund 6.200 Datenträger ausgelesen. In etwa 70 Prozent der Fälle, in denen die Datenträger ausgewertet wurden, konnten sie dabei keine verwertbaren Erkenntnisse gewinnen. In zwei Prozent der Fälle wurde die Identität der Antragsteller*innen widerlegt.
Wenige Rücknahmen seit 2018
Es ist nicht möglich, genau zu wissen, wie viele Asylbewerber*innen falsche Angaben zu ihrer Identität und Herkunft machen. Das gilt besonders für die Jahre 2015 und 2016, als zeitweise über zehntausend Flüchtlinge am Tag registriert wurden und die Behörden nicht alle Dokumente prüfen konnten.
Inzwischen hat das BAMF mehr als eine halbe Million Anträge erneut geprüft, die vor mindestens drei Jahren gestellt wurden. Das BAMF kann den Flüchtlingsstatus widerrufen, wenn sich die Lage im Herkunftsland der Geflüchteten verbessert hat. Zurückgenommen wird der Status hingegen, wenn das BAMF feststellt, dass Schutzsuchende falsche Angaben im Asylverfahren gemacht haben. Das war in weniger als ein Prozent der 510.000 Widerrufsprüfungen der Fall.
Beitragsfoto: Viele Geflüchtete haben keine Dokumente. Mit Fingerabdrücken, Befragungen und Handydatenauswertung soll die Identität festgestellt werden © BAMF