Den nachfolgenden Beitrag über Klimaflüchtlinge entnehmen wir den Daten und Dossiers der Mediendienstes Integration. Dort finden Sie auch genauere Angaben über Quellen, Links und weiterführende Informationen:
Weltweit sind die Natur und Lebensgrundlagen für Menschen durch den Klimawandel gefährdet. Der Abschlussbericht 2023 sowie des Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) von 2022 zeigt, dass die Folgen bereits jetzt verheerend sind: Dürren, Hitze, Überschwemmungen und Nahrungsunsicherheit werden deutlich zunehmen und Konflikte mit sich bringen.
Viele Menschen müssen wegen kurz- oder langfristiger Umweltveränderungen ihre Heimat verlassen. Der Klimawandel führt aber nicht automatisch zu mehr Migration: je nachdem, welche Ressourcen vorhanden sind, passen sich Menschen an die veränderten Bedingungen an. Wenn Personen migrieren, sind die Folgen der Klimakrise meist nur ein Grund neben anderen. Auch deshalb gibt es wenig belastbare Daten zu klimabedingter Migration.
Klimaflüchtlinge, Klimavertriebene oder Umweltmigrant:innen? Begriffe & Definitionen
Es gibt unterschiedliche Bezeichnungen für Menschen, die wegen der Folgen des Klimawandels ihre Heimat verlassen oder verlassen müssen. Denn es geht um unterschiedliche Phänomene: Darunter längerfristige Migration aufgrund schleichender Umweltveränderungen (etwa Anstieg des Meeresspiegels, Verschlechterung der Bodenqualität oder Übersäuerung der Ozeane) oder Vertreibungen wegen plötzlicher Ereignisse (etwa Wirbelstürme, Vulkanausbrüche oder Erdbeben).
Häufig wird in der Berichterstattung von “Umwelt- oder Klimaflüchtlingen” gesprochen. Die Begriffe sind irreführend, da die Begriffe nahelegen, dass die betroffenen Personen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Dies ist jedoch nicht immer der Fall.
Gängigere Bezeichnungen sind “Klimamigrant:innen oder Umweltmigrant:innen”. Laut IOM sind das Personen, deren Lebensbedingungen sich aufgrund von Umwelt- und Klimaveränderungen derart verschlechtern, dass sie gezwungen sind oder sich dafür entscheiden, innerhalb ihres Landes oder ins Ausland zu migrieren. “Umweltmigrant:innen” ist als Bezeichnung passender, da nicht alle Umweltveränderungen, wegen derer Menschen migrieren, auf den Klimawandel zurückgeführt werden können – oft spielen andere menschliche Umwelteingriffe eine Rolle. Doch auch diese Bezeichnung eignet sich nur bedingt: Selten hängt die Entscheidung zu migrieren allein von Umweltveränderungen ab.
Als Umweltvertriebene werden Personen verstanden, die wegen Umweltveränderungen – häufig Wetterextremen oder Naturkatastrophen – gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen oder evakuiert werden.
Zusammenhang von Klimawandel und Migration
Voraussichtlich werden immer mehr Menschen wegen Extremwetterereignissen ihre Heimat verlassen oder verlassen müssen. Die Klimakrise und ihre Folgen führen aber nicht automatisch zu mehr Migration, so die gängige Forschungsmeinung. Ein Überblick:
- Der Klimawandel und dadurch bedingte Umweltveränderungen (z.B. Dürren) oder Extremwettereignisse (z.B Stürme) bedrohen die Lebensgrundlage vieler Menschen. Das kann zu Vertreibung und Migration führen. Veränderte Umweltbedingungen können zudem bestimmte Faktoren, die zu Migration führen, verstärken – wie etwa eine angespannte Versorgungslage. Migration sei aber häufig schwer nur auf die Klimakrise zurückzuführen, so Fachleute. Denn auch berufliche, soziale und politische Faktoren spielen bei der Entscheidung zu migrieren eine Rolle.
- Ob Menschen migrieren oder nicht hängt auch davon ab, wie gut sie sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen oder davor schützen können – und auch insbesondere davon, welche politischen Maßnahmen zum Schutz und zur Risikominimierung getroffen werden. Darüber hinaus zeigen Studien, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die durch den Klimawandel so arm werden, dass sie keine Mittel haben, um zu migrieren.
- Unterschiedliche Umweltereignisse können zu unterschiedlichen Formen von Migration führen: Schleichende Umweltveränderungen (wie der Anstieg des Meeresspiegels) führen eher zu geplanter und langfristiger Migration; Extremwetterereignisse wie Stürme häufig zu kurzfristigen Vertreibungen. Die Menschen bleiben dabei zu einem großen Teil innerhalb ihres Landes, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können.
- Bei allem ist schwer zu unterschieden, welche Umweltereignisse direkt mit dem Klimawandel zusammenhängen und welche nicht – auch wenn unumstritten ist, dass Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen und Stürme mit dem Klimawandel deutlich zunehmen. Hinzu kommen menschengemachte Umwelteingriffe, die die Folgen der Klimakrise vielerorts verstärken.
Ob Menschen wegen veränderter Umweltbedingungen migrieren, ist regional sehr unterschiedlich. Das zeigt eine Meta-Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), die 30 Studien zum Thema analysiert hat:
- Eine entscheidende Rolle spiele das Wohlstandsniveau: In Ländern mit mittlerem Einkommen migrieren besonders viele Personen. In Ländern mit niedrigen Einkommen weniger, unter anderem fehlen dort die Ressourcen. In reichen Ländern haben Menschen mehr Möglichkeiten, sich an die Umweltveränderungen anzupassen oder davor zu schützen.
- Migration findet vor allem innerhalb der Länder oder in Ländern mit geringem oder mittlerem Wohlstandsniveau statt.
- Klimabedingte Migration ist vor allem dort stark ausgeprägt, wo viele Menschen von der Landwirtschaft abhängig sind, unter anderem in Regionen mit vielen Kleinbäuer:innen.
- Regionen, die besonders stark betroffen sind, sind Sub-Sahara-Afrika, Lateinamerika, die Karibik, zudem Ostafrika sowie Süd- und Südostasien. Länder, die besonders für hohe Emissionen verantwortlich sind, sind weniger betroffen.
Laut einer Studie des PIK 2023 verstärkt der Klimawandel grundsätzlich Migration. Dieser Effekt werde aber stark verringert, weil der Klimawandel auch das Wirtschaftswachstum in Ländern des ‘globalen Südens’ schwäch und sich Menschen somit die Ausreise nicht leisten können.
Wichtige Quellen IPCC (2022): “Climate Change 2022, Impacts, Adaptation and Vulnerability”, LINK Hoffmann et al (2021): “A meta-analysis of country-level studies on environmental change and migration” Nat. Clim. Chang. 10, 904–912, LINK LpB Baden-Württemberg: “Auf der Flucht vor dem Klima”, Dossier, LINK Hillmann et al. (2022): “Forschungsstand und Forschungsbedarfe zum Zusammenhang von Klimawandel, Migration und Sozialpolitik”, LINK Cattaneo et al. (2019): “Human Migration in the Era of Climate Change”, European Institute on Economics and the Environment, Working Paper 19–13 LINK Migration und Klimawandel, Dossier der bpb,
Wie viele Klimaflüchtlinge gibt es?
Genaue Daten zur Frage, wie viele Menschen wegen Umwelt- und Klimaveränderungen fliehen müssen, gibt es nicht. Grenzüberschreitende Migration wegen Umweltveränderungen wird nur vereinzelt erfasst, zudem sind „Klimaflucht“ oder “Umweltmigration” keine eindeutigen Kategorien
Zahlen gibt es vor allem zur Frage, wie viele Personen wegen Extremwetterereignissen innerhalb ihres Landes vertrieben oder umgesiedelt werden. Darunter sind auch Personen, die nach kurzer Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren. Fachleute gehen davon aus, dass auch diese Daten lückenhaft sind. Derzeit diskutiert die UN Statistical Commission, ob und wie Klimaflüchtlinge statistisch erfasst werden könnten.
Intern Vertriebene
Laut Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) wurden 2021 rund 23,7 Millionen Personen wegen Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen in ihrem Land vertrieben (2020: 30,7 Mio; 2019: 24,9 Mio.), vor allem in Ländern des Globalen Südens. Zum Vergleich: 14,4 Millionen Menschen wurden durch Konflikte oder Gewalt intern vertrieben.
Ein Großteil (94 Prozent) der Vertreibungen fand wegen Wetterereignissen wie Überschwemmungen, Stürmen und Waldbränden statt. Die restlichen sechs Prozent gehen auf Vulkanausbrüche, Erdbeben und -rutsche zurück. Auch wenn Extremwetterereignisse durch den Klimawandel häufiger werden, können nicht alle der Ergebnisse auf den Klimawandel zurückgeführt werden.
Rund 5,9 Millionen Menschen lebten laut IDMC 2021 als Vertriebene von Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen innerhalb ihres Landes. Die Zahl liegt weit unter der Zahl der Personen, die jährlich vertrieben werden. Das liegt zum einen daran, dass Menschen oft nach kurzer Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Aber auch daran, dass das IDMC erst begonnen hat, die Zahlen zu erheben, sie dürften weit höher liegen.
Wer ist besonders betroffen?
Rund 80 Prozent der intern Vertriebenen aufgrund von Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen befand sich 2021 in Süd- & Ostasien mit der Pazifikregion (rund 19 Millionen). In Sub-Sahara-Afrika sind es rund 2,5 Millionen, auf dem amerikanischen Kontinent und der Karibik rund 1,7 Millionen Menschen. Im Mittleren Osten & Nordafrika 233.000 und in Europa & Zentralasien 276.000. In Ländern, die besonders für hohe Emissionen verantwortlich sind, sind weniger Menschen intern vertrieben.
Eine Meta-Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt: Migration aufgrund klimatischer Veränderungen findet vor allem innerhalb der Länder (Binnenmigration) oder in Richtung von Ländern mit geringen oder mittlerem Wohlstandsniveau statt. In Ländern mit mittlerem Einkommen migrieren besonders viele Personen. In Ländern mit niedrigen Einkommen weniger, unter anderem fehlen dort die Ressourcen. Klimabedingte Migration findet vor allem dort stark, wo viele Menschen von der Landwirtschaft abhängig sind. Quelle
Reichere Länder haben mehr Möglichkeiten, sich an die Umweltveränderungen anzupassen oder die Bevölkerung davor zu schützen. Auch wenn es dort weniger Vertriebene gibt, zeigen sich in Ländern des Globalen Nordens stark die Auswirkungen der Klimakrise: Deutschland liegt laut der Organisation Germanwatch auf Platz 18 der Länder weltweit, die besonders von Wetterextremen wie Überschwemmungen, Hitzewellen und Stürmen zwischen 2000 und 2019 betroffen waren. Laut Klimawirkungs- und Risikoanalyse von 2021 könnte sich Deutschland bis Ende des Jahrhunderts zu einem globalen Risiko-Hotspot entwickeln.
Frauen sind stärker von den Folgen der Klimakrise betroffen. Manche Studien sagen, dass sie seltener migrieren und etwa Einkommensausfälle auszugleichen, andere gehen davon aus, dass Frauen häufiger diesen Weg wählen werden.
Prognosen zu Klimawandel und Flucht
Immer wieder werden Prognosen veröffentlicht, die besagen, dass hunderte Millionen Menschen in den nächsten Jahrzehnten wegen des Klimawandels fliehen werden. So sprach etwa die Weltbank 2021 von 216 Millionen intern Vertriebenen bis 2050. Eine häufig zitierte Schätzung ist die des britischen Umweltwissenschaftlers Norman Myers, der Anfang der 2000er Jahre 200 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2050 Jahrhunderts vorhersagte.
Laut Weltklimarat werden Vertreibungen wegen der Erderwärmung und folgender Wetterextremen mit hoher Wahrscheinlichkeit zunehmen. Bei einigen Regionen ist davon auszugehen, dass sie wegen Anstieg des Meeresspiegels unbewohnbar werden, wie etwa Teile der Pazifikstaaten. Für andere Ereignisse – wie etwa Trockenheit – sei die Auswirkung auf Migration weniger klar. Schätzungen dazu, wie viele Menschen insgesamt wegen des Klimawandels migrieren werden, seien jedoch schwer zu treffen und bestehende Prognosen laut Fachleuten mit Vorsicht zu genießen. Häufig seien die Prognosen methodisch ungenau.
Einige Schwierigkeiten der Prognosen sind:
Unsicherheit: Prognosen über klimabedingte Migration müssen viele Faktoren berücksichtigen, deren Entwicklung sehr unsicher ist: etwa die Bevölkerungsentwicklung, Klimaszenarien oder politische Maßnahmen. In einigen Prognosen werden etwa Anpassungsmaßnahmen nicht berücksichtigt.
Klimawandel nur ein Grund für Migration: Ebenso gibt es viele Unsicherheiten über Migrationsentscheidungen: Es sei schwer sie nur auf den Klimawandel zurückzuführen, da die berufliche und familiäre oder berufliche Situation auch eine wichtige Rolle spielt. Der Klimawandel kann zudem dazu führen, dass Menschen in manchen Regionen ärmer werden und deshalb nicht migrieren können; andere passen sich an den Klimawandel an oder kehren nach einige Zeit in ihre Heimat zurück. All das sei schwer zu modellieren.
Die fehlenden Daten zu klimabedingter Migration (siehe oben), führen dazu, dass auch Prognosen über zukünftige Migration kaum zu treffen sind.
Migrationsbewegungen finden vor allem innerhalb der betroffenen Länder oder in benachbarte Länder statt. Es sei nicht damit zu rechnen, dass viele Menschen wegen des Klimawandels nach Europa fliehen werden – das sei aber der Unterton einiger Prognosen sowie der Berichterstattung darüber. Der alarmistische Ton schüre Ängste und Vorurteile gegenüber Migrant:innen. Zudem erwecken sie den Anschein, dass es klimabedingte Migration nur in Zukunft geben werde. Dabei findet sie bereits jetzt statt.
Anerkennung von Klimaflüchtlingen?
Es gibt kaum Möglichkeiten für Menschen, die wegen Umweltveränderungen ihre Heimat verlassen müssen, einen Schutzstatus zu erhalten: In der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) sind Klima- und/oder Umweltveränderungen kein Anerkennungsgrund. Es ist unwahrscheinlich, dass sich das ändern wird, auch wenn es immer wieder Diskussionen darum gibt. Unter anderem ist es schwer zu definieren, was alles unter Klimaflucht fällt. Zudem fliehen die meisten Menschen zunächst innerhalb ihrer eigenen Länder, worauf die GFK nicht anwendbar ist. Einige Fachleute sprechen sich dagegen aus, einen neuen Fluchtgrund in die GFK mitaufzunehmen, um die Konvention nicht aufzuweichen.
2014 erhielt der Fall einer Familie aus Tuvalu viel Aufmerksamkeit, die in Neuseeland wegen den Auswirkungen des Klimawandels Schutz beantragt hatte. Die Familie erhielt jedoch keinen Flüchtlingsstatus, sondern ein Abschiebeverbot.
2020 erweckte der “Fall Kiribati” Aufsehen. Der UN-Menschenrechtsausschuss erkannte dabei an, dass das Recht auf Leben durch den Klimawandel ernsthaft bedroht sein kann und dann der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung (Non-refoulement) greift. Internationale Organisationen sehen darin eine Chance für neue Standards bei Asylanträgen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Theoretisch gäbe es auf EU-Ebene oder nationaler Ebene Möglichkeiten, subsidiären oder vorübergehenden Schutz zu erteilen, der jedoch nicht dem Schutzstatus gleichgestellt istQuelle
Relevante internationale Abkommen und Initiativen
Seit 2010 sind verschiedene internationale Abkommen und Initiativen zum Umgang mit klimabedingter Vertreibung entstanden:
- Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen forderte 2018 einen internationalen Klimapass. Er soll Personen, die wegen der Folgen des Klimawandels fliehen müssen, ermöglichen in andere Staaten einzureisen und dort Staatsbürgerrechte wahrzunehmen.
- Die Globalen Pakte für Migration und Flüchtlinge (GCM) erkannten 2018 erstmals klimatische Veränderungen als Ursache für Vertreibung an. Die Bestimmungen enthalten aber Leitlinien, keine Verpflichtungen.
- 2015 wurde die UN-Task Force on Displacement ins Leben gerufen, mit dem Ziel, klimabedingte Fluchtgründe zu bekämpfen und die damit verbundenen Vertreibungen einzudämmen.
- Die Initiative des Internationalen Warschau Mechanismus (WIM) 2013 versucht, ein internationales finanzielles Kompensierungssystem für klimawandelbedingte Schäden einzurichten.
- 2012 wurde die Nansen-Initiative gegründet, um Strategien für den Umgang mit Flucht im Kontext von Klimawandel und Naturkatastrophen auszuarbeiten. Aus ihr ging 2016 die Platform on Disaster Displacement hervor.
- 2012 verabschiedete die Afrikanische Union die Kampala-Konvention, um Binnenvertriebenen einen angemessenen Schutz zu gewähren. Sie ist verbildlich und Vertreibungen aufgrund von klimabedingten Umweltveränderungen werden berücksichtigt.
- Im Cancún Agreement haben die Vertragspartner der UN-Klimarahmenkonvention 2010 erstmals verbindliche internationale Maßnahmen zum Klimaschutz festgelegt und katastrophen- und klimabedingte Migration als politische Aufgabe anerkannt.