Lothar Dähn, seit 44 Jahren Wermelskirchener, leitet seit 15 Jahren die deutsche Niederlassung eines französischen Maschinenbauunternehmens in Aachen. Dort arbeitet in der Buchhaltung auch Marie-Claire U.. Lothar Dähn beschreibt, wie Marie-Claire in Aachen, in Deutschland ankam, nachdem sie ihre afrikanische Heimat verlassen mußte:

VON LOTHAR DÄHN

Aachen/Wermelskirchen | Im Dezember 2015 begegnete ich Marie-Claire U. zum ersten Mal. Vor mir stand eine ziemlich schüchterne 34jährige Afrikanerin. Sie bewarb sich bei uns über die Agentur für Arbeit um eine ausgeschriebene Stelle in der Buchhaltung. Sie wusste, dass wir die deutsche Vertriebsgesellschaft einer französischen Unternehmensgruppe sind. Sie wusste auch, dass ihre geringen Deutschkenntnisse für eine berufliche Tätigkeit überhaupt nicht ausreichen. In ihrem Heimatland Ruanda sprechen die Menschen neben Kinyarwanda hauptsächlich Französisch.

Die Enttäuschung war ihr dann auch anzusehen, als ich ihr klarmachen mußte, dass in der Buchhaltung in unserem Aachener Firmensitz die französische Sprache nicht gebraucht und Ihr afrikanisches Zertifikat, das ihr buchhalterische Kompetenzen bescheinigte, in Deutschland nicht anerkannt wird. 

Andererseits, dachte ich, sind die Regeln in einer Buchhaltung international die gleichen und auf die Sprache kommt es gewiß weniger an. Also stellte ich sie dennoch ein und: ich habe das noch keinen Tag bereut. 

Erst kürzlich bat ich Marie Claire, mir ihre Geschichte zu erzählen. Das machte sie fast akzentfrei in fließendem Deutsch. Nachdem sie im April 2009 mithilfe eines Schleusers in letzter Minute aus Ruanda flüchten konnte, kam mit dem Flugzeug nach Frankfurt. 

Ihren Bruder in Frankfurt bekam sie nicht zu sehen, denn nach dem Asylantrag wurde sie gleich von der Polizei in den Zug nach Norddeutschland in eine Aufnahmeeinrichtung gesetzt. Es folgten fast fünf Jahre Wartezeit. Zuletzt mit ihrer kleinen Tochter in einer Einzimmerwohnung in einem Dorf. Schwer auszuhalten. 

Dann endlich erhielt sie aber doch die heiß ersehnte Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung.

Heute ist die alleinerziehende, starke Frau – mit Recht – stolz darauf, dass sie nicht nur den Bilanzbuchhalter-Lehrgang erfolgreich absolviert hat, sondern auch, daß ihre Tochter nach den Sommerferien das Gymnasium besuchen wird. 

Marie-Claire U. verlässt unsere Firma im nächsten Monat. Sie kann sich finanziell in einer neuen Stelle deutlich verbessern. Auch wenn ich sie ungern als Mitarbeiterin verliere, klug, immer freundlich, freue ich mich doch sehr für sie und ihr Kind. Marie Claire ist seit zwölf Jahren von Ihrer Familie getrennt. Das ist hart genug. Aber Deutschland, so sagt sie, dankbar, ein wenig auch sich selbst tröstend, sei nun ihre zweite Heimat. 

Auswanderung, Verlust von Heimat und Familie, gleich aus welchen Gründen, ist seit Menschengedenken hoch problematisch. Ich kann die vielen Fragen in diesem Kontext nicht beantworten, aber Menschen auf der Flucht vor Tod, Folter und Gefangenschaft müssen immer eine reelle Chance zum Ankommen haben, zur Integration in die neue Gemeinschaft. Marie-Claire hat ihre kleine Chance wirklich genutzt und ich bin froh, dass ich ihr dabei ein wenig helfen konnte.