Die europäische Gemeinschaft hat sich eine Richtlinie über die Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen gegeben.
Diese Richtlinie 2001/55/EG enthält auch Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten. Sie wird auch als „Massenzustrom-Richtlinie“ bezeichnet, bisweilen auch als Notfall-Richtlinie für temporären Schutz.
Die Richtlinie bietet einen Mechanismus einer EU-weit koordinierten Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen jenseits des individuellen Asylverfahrens und jenseits des Dublin-Systems. Zuständig dafür, einen Massenzustrom festzustellen, ist der Rat der Europäischen Union.
Zum Schutz der Flüchtlinge aus der Ukraine beschlossen die Mitgliedstaaten am 3. März 2022, diese Richtlinie erstmals zu aktivieren.
Diese Richtlinie wurde bereits 2001 als Antwort auf den Zustrom von Bürgerkriegsflüchtlingen während der Jugoslawienkriege geschaffen, der mit dem geltenden Recht der Normallage nicht zu bewältigen war.
Sie sieht den vorübergehenden Schutz von Vertriebenen vor. Der Begriff Vertriebene ist dabei weit gefasst, weiter als der Begriff der (staatlichen) Vertreibung: Er schließt insbesondere ernsthaft von systematischen oder weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen Bedrohte oder Betroffene – somit Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention – sowie Personen, die aus Gebieten geflohen sind, in denen ein bewaffneter Konflikt oder dauernde Gewalt herrscht (Kriegsflüchtlinge), mit ein. Dieser Schutz greift erst, wenn der Rat der Europäischen Union mit qualifizierter Mehrheit beschließt, dass ein Flüchtlingsstrom ein Massenzustrom ist. Der vorübergehende Schutz kann dann auf schnelle und unbürokratische Weise gewährt werden, wobei der jeweilige Mitgliedstaat zur Registrierung verpflichtet ist und unter anderem für eine angemessene Unterbringung und für den Lebensunterhalt zu sorgen hat.
Personen mit vorübergehendem Schutz haben Zugang zum Arbeitsmarkt und müssen nicht in Aufnahmeeinrichtungen oder Flüchtlingsunterkünften wohnen. Der Schutz endet nach einem Jahr (verlängerbar auf insgesamt bis zu zwei Jahren bzw. mit erneutem qualifiziertem Mehrheitsbeschluss des Rates auf insgesamt maximal drei Jahre) oder endet jederzeit, sobald der Rat dies mit qualifizierter Mehrheit beschließt, bietet also keine langfristige Bleibeperspektive. Den Betroffenen ist es nicht verwehrt, einen Antrag auf Asyl zu stellen.