VON INGRID MÜLLER-MÜNCH

Neulich, da wurde es mir wieder mal zu viel mit den ewigen Horrormeldungen in der Tagesschau und überhaupt. Vor allem aber mit dem ganzen Hass, der herumirrenden Menschen auf dieser Welt entgegenschlägt. Wenn ich da an meine beiden eritreischen Freundinnen denke (ja aus diesen Flüchtlingsfrauen wurden Freundinnen, und zwar ganz ganz dicke)… Was aus ihnen geworden ist.

Ingrid Müller-Münch © privat

F. hatte, bevor sie nach Deutschland kam, in Rom mehrere Jahre unter Brücken genächtigt, gebettelt, geputzt, wurde gedemütigt und hat Dinge erlebt, die ich mir nicht vorstellen mag. Ihr Mann wurde aus einem Boot von der libyschen Küstenwache aufgegriffen, nachdem er schon über Bord gestürzt war. Er wurde inhaftiert, gefoltert – und wird bis heute durch immer wiederkehrende heftige Kopfschmerzen daran erinnert.

 

Bis nach Köln geschafft

T. s Mann habe ich im Flüchtlingscafé kennengelernt, als er dort herumsaß, traurig, verzweifelt, denn seine geliebte Frau wartete in einem südsudanischen Camp auf Einreiseerlaubnis nach Deutschland. Und immer wieder hieß es, sie komme bald, sie komme morgen. Seine eritreischen FreundInnen und Verwandte versuchten, ihn aufzumuntern, sie kochten und backten wie wild, jedesmal wenn T. angekündigt wurde. Im Stillen dachte ich stets, die kommt nie. Wie denn auch. Und eines Tages stand sie da, mit dem gemeinsamen zweijährigen Sohn M. Glückliche Menschen, die nichts hatten, außer ihren HelferInnen im Flüchtlingscafé und ein paar Landsleuten, die es bis nach Köln geschafft hatten.

Angst? Wovor denn?

Als ich begann, F. und T, einmal in der Woche zu mir nach Hause einzuladen, um ihnen beizubringen, wie es hier so zugeht und wie man hier so spricht, da fragten mich Nachbarn fassungslos: „Du lädtst die zu Dir nach Hause ein? Hast Du da keine Angst?“ Nein, ich hatte nie Angst. Wovor denn auch. Ich habe die beiden Frauen von Anfang an geschätzt und später dann auch wirklich geliebt. Wir haben zusammen Weihnachtsplätzchen gebacken, Reibekuchen gebrutzelt, eritreische Fladenbrote hergestellt. Ich habe ihnen die Uhrzeiten beigebracht und was man hier so sagt im Alltag. Wie naiv ich da noch war. Dachte, der Satz „Ich hätte gerne ein Pfund Gehacktes vom Rind“ wäre für die Beiden ganz wichtig. Dabei haben sie ihn nie gebraucht. Mit dem wenigen Geld, das sie anfangs hatten, konnten sie nicht einmal zum Metzger gehen, haben immer in Billigmärkten abgepacktes Fleisch oder Gemüse gekauft.

Inzwischen haben beide zwei Kinder, eigene Wohnungen. T.s Mann hat sich selbstständig gemacht und lebt völlig unabhängig von staatlichen Subventionen. F. arbeitet halbtags in der Küche eines Kindergartens, ihr Mann macht gerade seinen Führerschein als LKW-Fahrer. Bislang scheiterte er stets an seinen Folterfolgeschäden, seinen Kopfschmerzen und Depressionen. Wenn ich sie besuche, dann komme ich in adrette, liebevoll eingerichtete Wohnungen – und kann mir kaum noch vorstellen, dass F. mal in Rom unter Brücken genächtigt hat und T. in einem sudanischen Flüchtlingscamp nicht wusste, wie es weiter gehen sollte.