VON WOLFGANG HORN

Es ist eine Schande. Wie Europa, die Europäische Union, die 27 demokratischen Länder mit den Flüchtlingen umgehen, die Elend und Not, Krieg oder Folter in ihren Heimatländern entkommen wollen, ist eine einzige Schande. An den Außengrenzen der EU werden Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Iran und Irak kommend, gezwungen, in menschenrechtswidrigen Masseninternierungslagern zu hausen. Ohne je eine Verbesserung ihrer Lage erwarten zu können. Moria in Griechenland ist das schlechte Beispiel.

Die Situation in Europa und an seinen Außengrenzen ist dramatisch. Systematisch und völkerrechtswidrig werden an allen Landgrenzen Europas Menschen zurückgewiesen. Rechtsverletzungen und schwerste Straftaten durch Grenzbeamte, Menschenrechtsverletzungen bleiben ungeahndet. An den Seegrenzen geht das Flüchtlingssterben einfach weiter. Mit massiver Gewalt finden Pushbacks statt, Zurückweisungen. Die zivile Seenotrettung wird zusätzlich stark behindert. Europa unterstützt Milizen dabei, Flüchtlingsboote abzufangen und Schutzsuchende zurück in die Haft- und Folterlager in Libyen zu bringen. Daß so viele Menschen es aktuell bis an die EU-Außengrenzen schaffen, ist erst der Anfang. Im Zuge weiterer Kriege (z.B. Sudan) und der Klimakatastrophe ist langfristig mit sehr viel größeren Flüchtlingszahlen zu rechnen.

Europa ist reich. Wir, Europa, die Europäische Union könnten durchaus sehr vielen Menschen helfen. Allein: die EU-Staaten sind in der Mehrzahl nicht willens, dies auf dem Gebiet der EU zu tun. Damit ist die Reform des europäischen Asylrechts auf dem Niveau der Schäbigkeit angekommen. Europa hat den moralischen Kompass verloren. Ich kann nicht erkennen, warum sich meine Regierung für einen angeblichen Durchbruch und Verbesserungen des europäischen Asylrechts feiert, die de facto gar nicht erreicht wurden. Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich auf ein unzureichendes neues Verteilungssystem geeinigt. Eine Einigung auf Kosten der Menschenrechte. Auf Kosten der Menschen, die Schutz brauchen. Das ist ein menschenrechtlicher Tabubruch, eine Missachtung des Auftrags der Verfassung und der Bruch eines Versprechens aus dem Koalitionsvertrag.

Die Koalitionsparteien müssen sich für die Aufnahme aller Geflüchteter in der gesamten EU mit einem verbindlichen Solidarmechanismus einsetzen. Der aktuelle Modus bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine wäre ein gutes Modell. Die Geflüchteten könnten europaweit die freie Wahl des Schutzlandes in Anspruch nehmen. Die Sicherung der familiären Bindungen erleichtert die Integration in die Gesellschaft.
Die Regierung muß entschieden das Völker- und das EU-Recht an den EU-Außengrenzen wahren. Pushbacks müssen sofort beendet werden. Langfristig müssen reguläre Fluchtwege eröffnet werden. Humanitäre Visa- und Aufnahmeprogramme sowie funktionierende Familienzusammenführungen wären ein guter Anfang.