VON WOLFGANG HORN

Irregulär, das bedeutet nicht den Regeln entsprechend. Dabei schwingt in diesem Wörtchen mit, daß etwas nicht dem Gesetz entspricht, ungesetzlich, also illegal sei. Wenn, wie die AfD es seit mehr als sechs Jahren tut, von „irregulärer Migration“ nach Deutschland gesprochen und geschrieben wird, ist es den Urhebern ganz recht, daß der Unterschied zwischen „nicht den Regeln entsprechend“ und „ungesetzlich“ eingedampft wird. Wer irregulär hört oder liest, fühlt und denkt mit der Zeit den Gesetzesverstoß mit. Das ist die Absicht dieses Framings. Flucht und Flüchtlinge werden so unter der Hand zu Gesetzesbruch und Gesetzesbrechern, noch bevor die Menschen ihren Fuß auf deutschen Boden setzen.

Der Begriff der „irre­gu­lä­ren Migra­ti­on“ vor allem über das Mit­tel­meer hat sei­nen Weg in die ver­meint­li­che Mit­te der Politik und Gesellschaft gefun­den. Jens Spahn und Fried­rich Merz ver­wen­den ihn nur all­zu gern, und schließ­lich landete er sogar im Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel.

Explizit formulieren rechtskonservative, völkisch-extremistische und populistische Kräfte, daß die Flüchtlinge, die zu uns kommen, „Dreck am Stecken“ hätten, „Kopftuchmädchen“, „Messermänner“ und „Taugenichtse“ seien. Gelegen kommt diese Konnotation, die assoziative Nebenbedeutung auch jenen, denen der politische Effekt zunutze ist, das aber selbst so nicht formulieren würden, sondern zu sprachlich eleganterer Ausgrenzung in der Lage sind. Ich denke dabei natürlich nicht an die Herren Merz oder Spahn.

Nicht nur die Sprache ist ausgrenzend und schafft und bedient das Ressentiment der Fremdenfeindlichkeit. Auch das verwendete Bild ist ein Trugbild. Flücht­lin­ge könnten auf lega­lem Wege zu uns kom­men und nutzten die illegalen Wege lediglich, weil sie ohne­hin kei­nen Schutz­an­spruch hät­ten. Nur: Mehr als 70 Pro­zent der Asyl­an­trä­ge werden posi­tiv ent­schie­den. Obwohl die »lega­len Wege« nach Europa de fac­to nicht exis­tie­ren.

„Nie­mand wür­de sich in einem wack­li­gen Schlauch­boot in Lebens­ge­fahr bege­ben, sich von bru­ta­len Grenz­schüt­zern ver­prü­geln las­sen, in über­füll­ten Last­wa­gen durch Euro­pa fah­ren und für all das auch noch tau­sen­de an Euros bezah­len, wenn er oder sie sicher mit dem Flug­zeug ein­rei­sen könnte.“ So nachzulesen bei Pro Asyl.

Arti­kel 31 der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on (GFK), von Deutsch­land und 148 wei­te­ren Staa­ten unter­zeich­net, legt fest, dass flie­hen­de Men­schen nicht wegen einer uner­laub­ten Ein­rei­se bestraft wer­den dür­fen. Damit ist eine Ein­rei­se, die nicht bestraft wird, auch kei­ne Straf­tat. Trotz­dem wer­den genau die­se Men­schen mitt­ler­wei­le nicht nur von Rechts­extre­men als »irre­gu­lä­re Migran­ten« gebrandmarkt.

Flüchtlinge werden von den meisten Menschen mit großer Empathie bedacht. Menschen in Not muß geholfen werden, wer hungert oder krank ist, braucht unsere Hilfe, Kinder unsere Zuwendung, Familien ein Obdach. Wertet man diese Menschen hin­ge­gen als „irre­gu­lä­re Migran­ten“ ab, als „Illegale“ sogar, zielt das dar­auf ab, dass die Sym­pa­thien der Bevöl­ke­rung schwin­den, ver­meint­li­chen Straftätern keine Hilfe zukommt, die Akzep­tanz für wei­te­re Ver­schär­fun­gen im Asyl­recht steigt.

Wer Geflüch­te­te als eine Gruppe markiert die, absicht­lich »ille­ga­le« anstel­le lega­ler Wege nut­zt, betreibt das Geschäft der rech­ten Het­zer. Rech­te Par­tei­en aber schwächt man nicht durch die Über­nah­me ihrer Nar­ra­ti­ve.