Jochen Bilstein, pensionierter Gymnasiallehrer, betreut in der hiesigen Flüchtlingshilfe junge Menschen, hilft ihnen dabei, die deutsche Sprache zu erlernen und sich in Praktikum oder Ausbildung zurecht zu finden. Junge Menschen aus vielen Ecken der Welt. Unter anderem hat er “Momo” geholfen, einem jungen Mann aus Guinea, der soeben abgeschoben wurde. Ein Leserbrief:
Guten Abend,
zum ersten Mal musste ich erleben, was es bedeutet, als abgelehnter Flüchtling verhaftet, in Abschiebehaft nach Hamburg und von dort zum Flugzeug nach Guinea gebracht und ausgeflogen zu werden. Sieben Tage, in denen die Hoffnungen eines jungen Guineers zerplatzen.
Heute Nachmittag schrieb er mir, dass er in Guinea angekommen sei. Ja, er war ausreisepflichtig. Ja, er hat Fehler gemacht und damit seine Ausbildungsduldung verschenkt (um keine Missverständnis aufkommen zu lassen: Er ist niemals in den Jahren seines Aufenthalts straffällig geworden). Damit hatte er ein Arbeitsverbot für Deutschland. Das Gesetz, das dies regelt, ist eindeutig, man kann auch sagen gnadenlos.
Rein rechtlich ist alles in Ordnung, menschlich (und ich meine nicht menschelnd) aber nicht. Gerade junge Afrikaner haben keine andere Möglichkeit, als auf dem Ticket „Flüchtling“ der Perspektivlosigkeit, der Gewalt und der Willkür seniler Potentaten zu entkommen und in Europa eine Chance zu bekommen. Unsere Einwanderungsgesetze auch für Arbeitsmigration sind mehr auf Abweisung, denn auf Zuwanderung ausgerichtet. So musste „Momo“ , der gut integrierte, hilfsbereite, ja leider auch allzu oft unzuverlässige Migrant aus Guinea sich mit den Regeln der Flüchtlingsgesetzgebung herumschlagen, obwohl von Anfang an klar war, dass Grundgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention auf ihn nicht zutrafen, obwohl auch er gute Gründe für seine „Flucht“ hatte. Zurück bleibt eine Community von jungen Guineern, die schockiert sind von dem, was ihrem „Bruder“ passiert ist, Verhaftung, Abschiebehaftanstalt, körperlicher Zwang (Bundespolizei und Arzt) zum Coronatest und die letzten Stunden in Deutschland in Handschellen.
Auch wenn hier nach Recht und Gesetz gehandelt wurde, bleibt bei denen, die hilflos zuschauen mussten, eine tiefe Traurigkeit. Gestern habe ich mit Momos Bruder persönliche Gegenstände aus der Wohnung geholt. Das Essen stand noch auf dem Herd, Momo glaubte ja, am Mittag wieder zu Hause zu sein.
Jochen Bilstein